Erst in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts konnte das Geheimnis um die zwei „Gesichter“ des Landkärtchens gänzlich aufgeklärt werden. Wie man diesen hübschen Falter unter die Flügel greifen kann, erfährst du am Ende des Artikels.
Das Landkärtchen mit der wissenschaftlichen Bezeichnung Araschnia levana zählt zu den zierlichsten Edelfaltern Österreichs. Der deutsche Name stammt von der linienreichen Zeichnung auf seinen Flügelunterseiten, welche den Namensgeber an eine Landkarte erinnert haben soll. Die Flügelspannweite beträgt nur etwa 3 bis 4 Zentimeter. Trotzdem hat dieser bemerkenswerte Falter viele spannende Besonderheiten zu bieten.
Landkärtchen: Spannende Rätsel für ForscherInnen
Zum Einen ist es überraschend, dass diese Art - dem allgemeinen Rückzug der Schmetterlinge zum Trotz - in den letzten Jahrzehnten ihr Verbreitungsgebiet in Europa sowohl Richtung Norden als auch Richtung Süden erweitern konnte. Auch in Vorarlberg ist sie beispielsweise nach 70 Jahren wieder aufgetaucht. Die Gründe hierfür sind noch nicht vollständig erforscht.
Zum Zweiten ist das Landkärtchen Anlass für besonders viele, durchaus aufwendige Forschungsarbeiten. Man wollte der Frage auf den Grund gehen, warum sich die im Frühling fliegende Generation von der sommerlichen im Aussehen so deutlich unterscheidet.
Carl von Linné beschrieb im Jahr 1758 diese beiden Formen des Landkärtchens als zwei Arten und nannte sie Papilio levana und Papilio prorsa. Im Jahr 1829 konnte Christian Friedrich Freyer mit seinen Zuchtversuchen schließlich eindeutig nachweisen, dass es sich in Wahrheit um eine einzige Art handelt.
Erst im Jahr 1954 bewies H. J. Müller anhand weiterer Zuchtversuche, dass die Tageslänge während der Entwicklung der Raupen der entscheidende Faktor für diesen sogenannten Saisondimorphismus ist. Auch biochemisch hat man den Mechanismus inzwischen erforscht. Die Tageslänge in der Phase der Raupenentwicklung bestimmt, wann im anschließenden Puppenstadium bestimmte Hormone aus der Gruppe der Ecdysteroide freigesetzt werden. Der Zeitpunkt der Ausschüttung bestimmt dann die Flügelzeichnung des sich in der Puppe gerade entwickelnden Falters.
Interessant ist auch, dass man in der Zucht durch bewusstes Variieren der Tageslänge Farbmuster auf den Flügeln erzeugen kann, welche in der Natur kaum vorkommen.
Ich habe selbst einmal auf einer Waldwiese einen älteren Falter fotografiert, der wie eine Mischform zwischen Frühlings- und Sommerform ausgesehen hat. Kannst du ihn in der Fotogalerie entdecken? Vielleicht hängen diese Mischformen auch damit zusammen, dass sich bei uns zumeist drei Generationen pro Jahr entwickeln und die Raupen so manchmal Tageslängen erleben, welche farblich eine Mischform erzeugen können. Die Generationszugehörigkeit von Mischformen bei den Männchen erkennen SpezialistInnen angeblich auch an der Penisform. Man sieht also: Das Landkärtchen ist inzwischen gründlich erforscht. ;-)
Männchen und Weibchen unterscheiden sich zudem auch in Größe und Färbung ein wenig. Das Landkärtchen weist also auch einen leichten Sexualdimorphismus auf. So sind die Weibchen zum Beispiel etwas größer.
Sich türmende Eier
Landkärtchen kleben ihre Eier nicht nebeneinander auf ein Blatt, sondern legen sie in Form kunstvoller, kleiner Türmchen auf die Unterseite sorgfältig ausgewählter Brennnesselblätter. Die Eier gleichen dabei kleinen grünen Tönnchen, die sich gut stapeln und miteinander verkleben lassen. Vom Standort her bevorzugen die Falter dabei feuchtere Standorte entlang von Waldwegen und Waldbächen. Die erste Raupengeneration findet man dann zumeist Ende Mai oder Juni, vorwiegend auf Brennnesselstauden im Halbschatten.
Die schwarzen Raupen leben anfangs in der Gruppe zusammen und verstecken sich gerne gemeinsam auf den Blattunterseiten. Da sie nicht wie Kleiner Fuchs oder Tagpfauenauge weithin sichtbare Gespinste bilden, sind sie nicht leicht zu entdecken. Später vereinzeln sich die Raupen.
Landkärtchen-Raupen mit Dornenhaupt und metallische Puppen
Im Aussehen kann man sie von den ebenfalls schwarzen und dornigen Tagpfauenaugenraupen durch zwei verzweigte Dornenfortsätze auf der Kopfkapsel gut unterscheiden, die man auch Stirnzapfen nennt. Diese erinnern ein wenig an kurze kleine Fühler. Kinder mögen diese zarten, bis zu drei Zentimeter langen Räupchen deshalb besonders gerne und auch die ängstlicheren unter ihnen nehmen die Räupchen mutig auf die Hand.
Ebenso wie andere Brennnessel-fressende Raupen werden sie auch von Fliegen oder Schlupfwespen parasitiert. Diese legen ihre Eier in den Körper der Raupe, sodass sich die Larve von der Raupe ernährt, bis diese schließlich abstirbt. Das Foto einer so getöteten Raupe, an der die frische, kugelförmige Puppe eines Parasiten hängt, kann man in der Fotogalerie betrachten. Auch solche Szenen gehören zum Schmetterlingsleben.
Die dunklen Puppen besitzen glänzende Flecken, die wie echtes Silbermetall in der Sonne glitzern. Gerne wüsste ich genauer, wie dieser metallische Schimmer von der Puppe erzeugt wird. Vielleicht ein Thema für ein neues Landkärtchen-Forschungsprojekt?
So fördere ich das Landkärtchen
Da Landkärtchen als Lebensraum Waldränder bevorzugen, wird man sie eher nur in waldnahen Gärten antreffen. Es gibt angeblich auch nur wenige Funde von Raupennestern in verwilderten Gärten. Über unser Grundstück läuft jedoch ein kleiner Bach, an dessen Einfassungsmauern wir unter anderem Salweide, Weißdorn und Haselnuss gesetzt haben. Darunter verteilen wir immer wieder etwas Grasschnitt, welcher anfällt, wenn wir schmale Durchgangswege in unsere Blumenwiese mähen. Der Nährstoffeintrag hat hier ein durchgehendes Band an schattigen Brennnesselbeständen wachsen lassen. Darauf können wir immer wieder Nester vom Landkärtchen beobachten.
Letzten Herbst fanden wir aber auch schon ein Nest in einem verwilderten Hochbeet, in dem sich einige Brennnesseln breitgemacht hatten. Auch an feuchteren, Brennnessel-bewachsenen Böschungen von Streuobstwiesen sichten wir im Herbst manchmal Nester.
Als Nektarpflanzen besuchen die zarten Landkärtchen im Frühling zum Beispiel die Große Sternmiere, Wiesenkerbel, Bärlauch und Knoblauchsrauke, aber auch blühende Himbeeren und Brombeeren. Die Sommergeneration liebt - zumindest in unserem Garten - die Katzenminze, die manchmal am Rand des Bachbettes dichte Bestände ausbildet. Laut Literatur mögen die Falter auch gerne Wald-Engelwurz, Wilde Möhre, Große Bibernelle, Ackerkatzdisteln, sowie den nicht ungefährlichen Wiesen-Bärenklau.
Schimmernde Schönheit
Wenn es das Landkärtchen in deiner unmittelbaren Umgebung nicht geben sollte, dann sei nicht allzu traurig. Auf Waldspaziergängen kannst du der Sommerform im Juli manchmal in großer Zahl auf Doldenblütlern begegnen und dich vielleicht, wie ich, in die zierlichen Falter verlieben.
Vor allem die Flügelunterseiten haben ein wunderschön schimmerndes Muster. Beim versehentlichen Fotografieren mit Blitzlicht gelang mir einmal ein besonders hübscher Schnappschuss. Aber schau dir einfach meine Fotogalerie an und beurteile selbst!
Oder noch besser: Begib dich an feuchten Waldlichtungen mit Brennnesselbeständen auf Entdeckungsreise und melde Sichtungen mit der Schmetterlings-App von Blühendes Österreich! Das hilft auch den SchmetterlingsforscherInnen, diese besondere Art noch besser im Auge zu behalten.
Über die Autorin: Marion Jaros arbeitet als Biotechnologin bei der Wiener Umweltanwaltschaft.
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Die Ergebnisse der Schmetterlingsapp 2020 sind frisch eingeflattert!
Hilf den bedrohten Faltern: Schmetterlingsaktionen 2021
Zählung der Aurorafalter (1. März bis 31. Juli 2021) sowie Schmetterlingszählung in Österreichs Gärten (2. Juli bis 25. Juli 2021).
Die ausführliche Auswertung der Schmetterlings-App 2020 inklusive Bundesländerauswertung steht auf www.schmetterlingsapp.at zum Download zur Verfügung.