Bernhard Krautzer erklärt im Experteninterview die Vorteile von heimischem, naturräumlich angepasstem Saatgut und wie die Anlage von Ackerblühstreifen nachhaltig gelingt.
Warum braucht es so viele Blühstreifen?
In den letzten 60 Jahren gab es in unserer Kulturlandschaft einen extremen Rückgang der Grünlandflächen – also vor allem von extensivem Grünland – von über 800.000 Hektar. Das hat unterschiedliche Ursachen: Grenzertragsflächen wurden aufgeforstet, einiges musste Infrastruktur, Wohn- und Industriegebieten weichen und ein Teil ist der Intensivierung in der Landwirtschaft zum Opfer gefallen. Das ist insofern ein Problem, da wir in Österreich die artenreichsten Pflanzengesellschaften im extensiven Grünland finden.
Welche Rolle spielen diese Blühstreifen für Insekten?
Für Insekten, die für die Biodiversität und auch die Landwirtschaft von enormer Bedeutung sind, brauchen wir in der Kulturlandschaft zwei Dinge: Strukturen, in denen sie leben können und Nahrung. Ackerblühstreifen liefern einen ganz wichtigen und schnellen Beitrag dazu. Sie bieten Nahrung für Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen, Käfer – was eben alles an Bestäubern so herumschwirrt.
Abseits der Landwirtschaft können ja auch Gemeinden oder Privatpersonen Blühstreifen anlegen?
Ja, es gibt ein großes Potenzial im Bereich des kommunalen Grüns, bei privaten Gärten oder bei Flächen, die gehölzfrei gehalten werden müssen, etwa Kraftwerksbauten oder Leitungstrassen. Wenn man das alles zusammenzählt, dann sind es Tausende Hektar, auf denen man Blühflächen anlegen könnte. Dazu kommt noch der Landschaftsbau. Dort hat sich schon einiges verbessert, es wird aber noch immer viel zu häufig auf billige Saatgutmischungen zurückgegriffen.
Was ist das Problem mit billigen Saatgutmischungen?
Das sind oft Abfallprodukte aus der Grünlandbewirtschaftung oder aus dem Rasensportbereich, die wenig bis gar nichts Wertvolles für die neue Wiese bieten. In Deutschland schreibt das Bundesnaturschutzgesetz vor, dass bei allen Begrünungen im Offenland regionale Saatgutmischungen verwendet werden müssen. Da sind wir in Österreich leider weit davon entfernt. Problematisch sind dabei nicht nur die wenig wertvollen oder oft auch fremden Arten. Auch bei uns heimische Arten stammen oft aus anderen Ländern, wo sie billig produziert werden. Aber sie unterscheiden sich in ihrer Genetik oft deutlich und haben beispielsweise komplett unterschiedliche Blühzeiten, womit sie für unsere Bestäuber oft wertlos sind. Wenn ich jetzt Saatgut einer regional genetisch angepassten Margerite aus heimischer Produktion nehme, dann macht das einen Unterschied. Wie eng man die Standortnähe nimmt, ist so eine Sache. Ich würde sagen, das, was in Österreich zu Hause ist, hat schon einen guten naturräumlichen Bezug. Aber natürlich kann man da noch weiter gehen und nach spezifischen Regionen, wir sprechen da von Naturräumen oder Herkunftsgebieten, unterscheiden. Das wäre perfekt. Die Saatgutmischungen, die wir jetzt haben, sind mit wenigen Ausnahmen noch zu wenig selektiv.
Wäre regionales Saatgut für jede österreichische Region denn überhaupt vorhanden?
Wenn der Markt es nachfragen würde, weil z. B. auch Österreich das gesetzlich besser verankert, dann könnte man solche regionalen Saatgutmischungen breit zur Verfügung stellen. Wir haben in Gumpenstein mit dem Aufbau einer Genbank für Grünlandpflanzen begonnen. Dafür haben wir zehn Naturräume in Österreich ausgewiesen und ein bestimmtes Artenspektrum zusammengetragen. Ein Teil ist in unserem Langzeitlager eingefroren, ein Teil davon ist aber verfügbar für Vermehrung bzw. wird bereits flächig vermehrt und als Bestandteil in unterschiedlichen Mischungen von unserem kommerziellen Umsetzungspartner angeboten. Ein nach naturräumlichen Kriterien produziertes österreichisches Saatgut muss auch zertifiziert sein, um sicherzustellen, dass der höhere Preis dafür gerechtfertigt ist. In Gumpenstein haben wir dafür ein Herkunftszertifikat, das G-Zert, entwickelt. Jeder Schritt des Prozesses – von der Auswahl der Spenderflächen über die Vermehrungsbetriebe, die Samenproduktion sowie Reinheit und Keimfähigkeit des Saatguts – wird hierbei kontrolliert. Wir beraten auch bei der Entwicklung von passenden Mischungen für unterschiedliche Einsatzbereiche und Standortbedingungen. Da die Nachfrage in den einzelnen Naturräumen noch zu gering ist, gibt es am Markt erhältliche Mischungen mit G-Zert-zertrifiziertem Saatgut derzeit aber noch nicht an einzelne Naturräume angepasst, sondern passend für ganz Österreich.
Und dieses Saatgut kann dann einfach ausgebracht werden und es entsteht ein artenreicher Blühstreifen?
So einfach ist es leider nicht. Man kann das beste Saatgut haben und die falsche Technik beim Ausbringen und umgekehrt. Außerdem braucht es die richtige Pflege – je nach Nährstoffniveau, Feuchtigkeit oder Lichtverhältnissen am Standort –, um die Artenvielfalt maximal zu fördern. Diese drei Faktoren gemeinsam entscheiden über Erfolg oder Misserfolg. Auch die Qualität der Fläche ist wichtig. Für die Arten auf den Blühflächen braucht es gut durchwärmte, möglichst nährstoff- und unkrautarme Böden. Wenn man das zur Verfügung stellt, funktioniert es meistens. Eine von Natur aus belastete Fläche eignet sich nicht für die Anlage solcher Blühflächen, weil sich Beikräuter durchsetzen und die ganze Arbeit zunichtemachen. Das führt dann oft zu Frustration.
WIRTUNWAS hat diesmal den Schwerpunkt „Wilde Karde“. Wie gefällt dir das?
Die Wilde Karde ist eine tolle Pflanze. Sie steht symbolisch dafür, wohin wir uns auch als Gesellschaft wieder entwickeln sollten: dass wir mehr Unordnung in unserer Landschaft zulassen. In diesem Fall Gstätten. Lasst die Brennnesseln wuchern, lasst den Karden und den Königskerzen ihren Platz. Indem ich nichts tue, tue ich so viel Positives für die Natur. Wenn ich der Karde als zweijährige Pflanze im Grünland eine Chance geben will, dann kann ich zum Beispiel einen Teil der Wiese, wo Karden vorkommen, im Herbst mähen und den Rest erst im nächsten Jahr. Es ist also sehr einfach, die Wilde Karde zu unterstützen.
