Was tun 90 Menschen an einem Frühlingstag im Kamptal bei Rosenburg? Sie wandern in einen „heimlichen Nationalpark“. Der Naturschutzbund Niederösterreich hat zur Exkursion geladen, um das stille Tal mit seinem rauschenden Fluss und den wilden Wäldern zu erkunden. Denn: über die Zukunft des Naturidylls ist ein Streit entbrannt.

Ein frischer Samstagmorgen im vorfrühlingshaften Kamptal bei Rosenburg. Die Wiese füllt sich mit Menschen. An die 90 Einheimische und Waldviertel-Fans sind dem Ruf des Naturschutzbund Niederösterreich zur Wanderung ins malerische Tal gefolgt. Die Veranstalter glauben ihren Augen kaum, mit so einen Zuspruch hat man nicht gerechnet. Was als gemeinsame Wanderung geplant war, fühlt sich nun fast wie eine Demonstration an. Als jemand ein Banner auspackt, wollen spontan fast alle beim Gruppenfoto mit dabei sein.

Stefan Glaser und Sibylle Steidl von der Initiative "Lebendiger Kamp" erläutern die Sachlage

Flussausbaggerung für ein neues Kraftwerk?

Stefan Glaser und Sibylle Steidl sind bei der Kamptaler Bürgerinitiative „Lebendiger Kamp“ aktiv.
Sie erklimmen einen Baumstamm, den das Stift Altenburg hier als "Spende" für die Artenvielfalt postiert hat. „Willkommen im Naturparadies Kamptal. Da drüben will die EVN das alte Krafthaus abreißen, ein neues hinstellen und den Kamp auf einer Länge von 1,5 Kilometer ausbaggern,“ sagt der Hydrobiologe Stefan Glaser aus Stiefern. Die Bürgerinitiative will diesen Plan aufhalten und hat Einspruch im Umweltverträglichkeitsprüfungs-Verfahren eingebracht.

Der Ökologie-Fachmann, Kamptal-Kenner und Buchautor Werner Gamerith begleitet die Wanderung. Eine Teilnehmerin gesteht: „Schon alleine wegen dem Herrn Gamerith mußte ich herkommen. Seine Vorträge sind toll.“ Die Großgruppe begibt sich zum Ufer des Kamp, 100 Meter unterhalb des Krafthauses, neben dem das „abgearbeitete“ Wasser aus der Turbinenhalle in das Flussbett zurückströmt.

Wie lange rauscht der Kamp hier noch?

„Der hohe Wasserstand heute ist ein seltenes Ereignis. Das neue Kraftwerk mit seinem verdoppelten Schluckvermögen würde auch solche kleinen Hochwässer in der Restwasserstrecke am Umlaufberg verhindern,“ erklärt der Wasserbau-Experte Gamerith. Der Kamp rauscht und gurgelt nebenan. „Die EVN will den naturbelassenen Fluss hier 1,5 Meter tief ausbaggern. Danach würde der Kamp hier nur mehr ein träge fließender, flacher Kanal sein.“

Das Kraftwerk Rosenburg ist seit 1907 in Betrieb und hat eine Jahresleistung von etwa 4,2 GWh/Jahr. Der Kamp windet sich hier um den sogenannten Umlaufberg. An der engsten Stelle der Schleife trifft sich der Kamp (oben) fast wieder mit dem Kamp (unten) - ein geradezu idealer Platz für einen Stollen-Durchstich für ein Flusskraftwerk. In der Restwasserstrecke zwischen Staumauer und Krafthaus gleicht der Kamp jedoch oft nur mehr einem Rinnsal, weil lediglich 7,5 % der Mittelwasserführung nicht vom Kraftwerk beansprucht werden.

Das Gefälle zwischen Staumauer und Turbine ist mit 13 Meter eher bescheiden. Daher ist das Kraftwerk im Vergleich auch ein Zwerg. Die EVN will deshalb mehr Gefälle schaffen - mit einer neuen, höheren Staumauer und der Ausbaggerung des Flusses unterhalb des Turbinenhauses.

Mehr Restwasser - weniger Stromausbeute

2027 läuft die wasserrechtliche Bewilligung für das alte Kraftwerk Rosenburg aus. Um diese zu erneuern muss die EVN laut EU-Wasserrahmenrichtlinie aber mehr Restwasser abgeben. Die Durchgängigkeit für Fische ist verbesserungswürdig. Mehr Wasser in der Ausleitungsstrecke bedeutet aber automatisch weniger Wasser im Krafthaus - und weniger Strom. Daher will die EVN das Kraftwerk komplett neu (und größer) errichten. Das sei eine „Modernisierung“ und „Klimaschutz“, sagt der (mehrheitlich landeseigene) Stromversorger. Seit 2017 lauft die Umweltprüfung duch das Land NÖ bereits. Der Beitrag des neuen Kraftwerks zur Stromaufbringung wäre aber äußerst bescheiden. Die Schäden für das als Natura 2000-Gebiet und Landschaftsschutzgebiet ausgewiesene Tal wären hingegen groß, wie Bürgerinitiative, Naturschutzbund, Riverwatch und WWF kritisieren. Und ohne die Ökostromförderung wäre selbst die Rentabilität des Neubaus fragwürdig.

Die Gruppe setzt sich langsam in Bewegung und marschiert den Kamp entlang flussaufwärts. Im naturnahen Hangwald mit seinen mächtigen Eichen-Veteranen leuchten die ersten Frühblüher. Darüber ein dunkelblauer Himmel. Eine heile Welt?

 

„Der Kamp hat seine Schuldigkeit für die E-Wirtschaft getan“

„Wasserkraftwerke verbrauchen Natur,“ betont Werner Gamerith, als wir hoch über dem Kamp bei einer Ruine namens „Ödes Schloß“ rasten. „Der Kamp hat mit den drei großen Stauseen im Oberlauf seine Schuldigkeit getan. Nun sollte zumindest das mittlere Kamptal möglichst unversehrt für künftige Generationen erhalten werden.“

WWF und Umweltdachverband betonen, dass nur mehr wenige Flüsse im Land unverbaut seien. Die Energiewende müsse aber „immer naturverträglich“ sein. Der weitere Ausbau der Wasserkraft würde wegen des starken Stromverbrauchs „keinen Meter" helfen, die Energieziele zu erreichen.

Vielmehr brauche es Energieeinsparung und den Ausbau der Sonnenkraft: „Niederösterreich hat bei Photovoltaik einen großen Nachholbedarf. Es gibt sehr viele ungenutzte Dächer etwa von Gewerbegebäuden,“ meint Werner Gamerith.

Einmalige „Zauberwälder“ im Kamp- und Kremstal

Das mittlere Kamptal zwischen Wegscheid und Rosenburg beherbergt einen weiteren Naturschatz: Hier (und im benachbarten Kremstal) finden sich einige der wertvollsten Naturwälder Österreichs. Manche haben sogar „Urwaldqualität“. Ein Forschungsprojekt der Österreichischen Bundesforste (ÖBF) und coopNATURA entdeckte in den totholzreichen Hangwäldern des Kremstales extrem seltene Arten, wie den Juchtenkäfer, den „Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer“ oder die Bechsteinfledermaus. Diese raren Arten gelten als „Urwaldanzeiger“. Die ÖBF haben daher einen „Waldmanagementplan“ ausgearbeitet, der Rücksicht auf die wertvollen Wälder und seine bedrohten Bewohner nimmt.

Was ist ein „Dauerwald“?

Auch das Stift Altenburg geht mit diesem Naturschatz überaus umsichtig um - und überlässt die urigen, artenreichen Laubmischwälder auf den Kamptalhängen einer natürlichen Entwicklung. Der genutzte Teil der Stiftswälder wird nach den Prinzipien des „Dauerwaldes“ naturnah bewirtschaftet. Das heißt: Permanente Waldbedeckung (und keine Kahlhiebe) und Förderung ungleichaltriger Wälder mit standortgerechten Baumarten. Das Stift setzt keine Pestizide ein. Naturferne Fichtenbestände sollen wieder Mischwälder werden, weil die artenreicher und widerstandsfähiger sind.

Das ist aber nicht so einfach, wie Forstdirektor Herbert Schmid (auf Anfrage) erklärt: Im östlichen Waldviertel vermehrt sich der Borkenkäfer aufgrund der Klimaerwärmung massenhaft. Die großen Fichtenbestände, die vor 1-2 Generationen Jahren angepflanzt worden waren, sterben ab. Laut Forstgesetz müssen Waldbesitzer befallenes Holz aber sofort entfernen. So entstehen Lücken im Wald. In den Stiftswäldern soll Naturverjüngung für den neuen Wald sorgen. Doch der erwünschte (robustere) Mischwald - mit mehr Tannen, Buchen oder Eichen - tut sich schwer, weil das viele Wild die jungen Bäumchen verbeißt. Daher bemüht sich das Stift um eine Reduktion des Wildbestandes.

Kleine Fledermaus...

Mittlerweile scheint die Spätnachmittags-Sonne in den knorrigen Eichenwald mit seinen vielen abgestorbenen Altbäumen. ExkursionsteilnehmerInnen entdecken eine kleine Fledermaus, die am neben dem Forstweg am Boden kriecht. In den Höhlen und Spalten sehr alter Bäume finden diese bedrohten Arten einen letzten Rückzugsraum. Eine Rettungsaktion wird eingeleitet und das wunderliche Wesen behutsam auf einem Baumstamm platziert.

.. und große Fragen

Am Rückweg ziehen große Stapel mit toten, hohlen Eichenstämmen am Wegesrand Aufmerksamkeit auf sich. Was soll die Unordnung? Der klösterliche Waldbetrieb belässt Totholz im Wirtschaftswald, um seltenen Insekten wie dem Alpenbockkäfer eine Heimstätte zu bieten. Die Umsicht von Bundesforsten und Stift Altenburg für die Naturschätze im Natura 2000 Gebiet hat zweifellos Vorbildcharakter.

Es wird Abend. Die Gruppe trabt zurück zu Bahn und Autos. Bleibt die große Frage, was die Zukunft für dieses Naturrefugium bringen wird. Werden auch andere Waldbesitzer im Kamptal den Beispielen von Bundesforsten und Stift Altenburg folgen und ihre Naturwälder bewahren? Gibt es einen Ausweg aus dem eskalierenden Kraftwerkskonflikt, der die wertvolle Natur des Kamptals verschont?

Die Naturschätze im mittleren Kamptal sind durchaus Nationalpark-würdig, aber kaum bekannt. Dabei könnte behutsamer Naturtourismus die Region auch wirtschaftlich beleben...

(Autor: Matthias Schickhofer)

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