Mit 365 Mitarbeiter:innen, 30.000 Tonnen produziertem Käse im Jahr und 185 Millionen Euro Jahresumsatz ist Woerle die sechstgrößte Molkerei in Österreich und die zweitgrößte privat geführte. Woerle bezieht ihre Milch von langjährigen Partnerbetrieben im Umkreis von 50 Kilometern rund um Henndorf. Manche beliefern die Molkerei bereits seit 1889. Die Milchbranche gilt als hart umkämpft, der Preisdruck ist groß. Trotzdem setzt Woerle auf die Förderung der Biodiversität. Dafür gibt es ein einfaches Konzept: Die Nachhaltigkeitsmanagerin von Woerle, Diana Reuter, besucht im Rahmen des Projekts „Artenvielfalt in Bauernhand“ gemeinsam mit einem externen Biologen jeden einzelnen Zulieferbetrieb für eine einzelbetriebliche Beratung. „Wir unterstützen unsere Betriebe dabei, die Biodiversität im eigenen Betrieb ohne Nachteile für die Bewirtschaftung zu steigern“, beschreibt sie das Ziel des Engagements. „Auf jedem Hof gibt es Ecken und Fleckerln, die schwerer zu bewirtschaften sind oder wenig Ertrag liefern. Und die können die Bäuerinnen und Bauern mit wenig ökonomischem Nachteil und mit einfachsten Maßnahmen der Artenvielfalt, der Natur zur Verfügung stellen.“
Erster Anstoß passiert im Kopf
Wenig produktive Flächen werden von Diana Reuter und dem Biologen hinsichtlich der Biodiversität bewertet. Die Landwirt:innen bekommen vor Ort praktische Tipps, wie sie den wertvollen Lebensraum erhalten oder verbessern können. Darüber hinaus wird mit praxisnahen Kursen Hintergrundwissen vermittelt. Dabei werden gemeinsam mit den vortragenden Expert:innen beispielsweise Stein- und Totholzhaufen für Amphibien und Reptilien angelegt, abgestufte Waldränder und Hecken gepflanzt, offene Erdstellen als Brutplätze für Wildbienen geschaffen oder Nistkästen für Vögel und Fledermäuse gebaut. „Der erste wichtige Anstoß passiert im Kopf“, ist Diana Reuter überzeugt. „Viele Betriebe wissen wenig darüber, welche Tiere auf den Flächen vorkommen oder welchen Nutzen Vielfalt für den Betrieb bringt. Woher sollen sie es auch wissen? Aber wenn man sie im Gespräch darüber informiert, sind sie schnell interessiert und machen gerne etwas, um diese Vielfalt zu erhalten und zu fördern.“ Alle Maßnahmen werden von den Bäuerinnen und Bauern freiwillig umgesetzt.

Ökologisch optimiertes Betriebsgelände
Am eigenen Betriebsgelände von Woerle wurden alle nicht befestigten Flächen naturnah gestaltet. Obwohl die Verhältnisse etwas beengt sind, konnten so fast zehntausend Quadratmeter an unterschiedlichen Lebensräumen geschaffen werden, in denen mittlerweile seltene regionale Pflanzen wachsen. Das Prachtstück ist eine acht Meter hohe, abgestorbene Mostbirne, die auf das Betriebsgelände „verpflanzt“ wurde und nun als Totholz unzähligen Arten einen Lebensraum bietet. Um das Thema Vielfalt im Unternehmen zu verankern, wurden interne Workshops durchgeführt, bei denen etwa Führungskräfte des Unternehmens selbst Hecken anlegten. Zukünftig informieren auf dem Gelände verteilte Tafeln die Mitarbeiter:innen über den Nutzen von Vielfalt. Für die Produktbewerbung wird das Thema kaum genutzt, obwohl die Käserei in Sachen Biodiversitätsförderung Vorreiter ist. „Das Thema Nachhaltigkeit ist schwer zu kommunizieren, weil es so inflationär genutzt wird, dass es zum Teil schon fast negativ besetzt ist“, erklärt die Nachhaltigkeitsmanagerin die Gründe dafür. „Außerdem sind die Zusammenhänge kompliziert und daher schwer in der Kommunikation seriös zu vermitteln.“ Lokal sind die Aktivitäten von Woerle aber durchaus bekannt – mit interessanten Konsequenzen: „Neue Mitarbeiter:innen sagen immer öfter, dass sie sich bewusst wegen unserer Projekte für uns entschieden haben.“ Ein Vorteil, der bei zunehmendem Fachkräftemangel nicht zu unterschätzen ist.
Hochwertige Ausgangsstoffe für die Kuh
Gerrit Woerle leitet die familiengeführte Käserei in fünfter Generation. Sein betriebliches Umfeld – von der Käserei über die bäuerlichen Zulieferbetriebe bis hin zu den Geschäftspartner:innen – nennt der Betriebswirt gerne seinen „Mikrokosmos“. Hier kann er etwas beitragen und diese Verantwortung wahrzunehmen, ist ihm sehr wichtig. „Wir produzieren hochwertige Käsespezialitäten, wir brauchen also hochwertige Ausgangsstoffe für die Kuh, die die Milch dafür liefert. Und das fängt für uns im Boden und in der Natur an.“ Bei allen Betriebsbesuchen, Vorträgen, Webinaren und Praxiswerkstätten, die Diana Reuter durchführt, geht es auch darum, ein „anderes Schön“ zu kommunizieren – eines, das mehr Platz für Vielfalt lässt. „Wir haben einen Bauern, der wird von den Nachbarn immer geschimpft, weil er eine Wasserlacke neben dem Weg belässt“, erzählt sie eine ihrer Lieblingsgeschichten. „Und wenn er dann im Gespräch erfährt, dass die ganz wichtig für Schwalben ist, weil sie dort den Lehm für die Nester holen, dann hilft ihm das, dabei zu bleiben und die Lacke zu lassen.“