Wiesen, Wald und Felder waren die Spielplätze in Karoline Grüns Kindheit. Sie haben ihre innige Beziehung zu Kräutern und der Natur geformt. Ein Gespräch mit der Wildkräuterexpertin aus Kärnten.
Sie sagen, Pflanzen, Bäume und Tiere sind Ihre vertrauten Begleiter: Woher kommt diese Verbundenheit?
Ich bin auf einem Bergbauernhof in Kärnten aufgewachsen, an einem sehr abgelegenen Ort. Dort bin ich viel mit meinem Hund durch den Wald gewandert. Meine Großmutter und Mutter haben die Hausapotheke selber zusammengestellt und zum Beispiel aus Beinwell Salben gemacht und damit Prellungen und blaue Flecken gepflegt. Sie haben Arnika in Schnaps angesetzt, Wunden versorgt und bei Grippe Tee aus selbstgesammelten Kräutern gegeben. Für die Zugsalbe haben sie Lärchenharz verwendet und auch unseren Tieren verabreicht. Dieses alte Wissen möchte ich meinen Mitmenschen näher bringen.
Wie ist es heute um die heimische Wildkräuterwelt bestellt?
Mittlerweile sind einige Pflanzen stark dezimiert. Die Arnika etwa ist seltener geworden, essbare Wildkräuter, wie der Wiesenbocksbart, werden weniger. Generell mangelt es heute an der Vielfalt. Schuld sind Umweltverschmutzung, überdüngte Wiesen, Pestizide und Förderungen für Weidebrachland: Die Bauern bekommen Zuschüsse und treiben ihr Vieh nicht mehr auf die Wiese. Durch das fehlende Weiden und den natürlichen Dünger der Tiere wird das Pflanzenwachstum nicht mehr angeregt. Die Klimaerwärmung tut ihr Übriges.
Gibt es Wildkräuter, die aus der heimischen Flora verschwinden?
Ja, zum Beispiel Wiesenbocksbart, Wiesenschaumkraut, einige Wiesenlauch- und wilde Schnittlaucharten.
Was sollte man unbedingt über wilde Kräuter wissen?
Man muss wissen, was unter Naturschutz steht und nicht gepflückt werden darf. Himmelschlüssel zum Beispiel, weil sie auch seltener zu finden ist. Sie wachsen nur auf ungedüngten Wiesen. Man muss sich auch bewusst machen: Welcher Familie gehören die Kräuter an, welche Inhaltsstoffe haben sie? Sind sie giftig oder nicht? Welchen Nutzen oder Schaden verursachen sie? Mein Tipp ist, bei Kräuterwanderungen und botanischen Exkursionen mitzugehen. Dort lernt man die Merkmale bestimmter Familien kennen. So haben zum Beispiel Lippenblütler wie Thymian, Salbei oder Gundelrebe eine Ober- und Unterlippe, einen vierkantigen Stängel und beinhalten spezifische ätherische Ölkompositionen. Doldenblütler sind eine sehr schwierig zu bestimmende Pflanzengruppe: Sie haben essbare Arten wie etwa Giersch oder Wilde Karotte, aber auch sehr giftige Vertreter wie den Schierling.
Warum sind Wildkräuter für uns überhaupt wichtig?
Grundsätzlich gibt es viele essbare Wildpflanzen. Was den Vitamin- und Mineralstoffgehalt betrifft, sind sie den kultivierten Gemüsepflanzen oft weit überlegen. Bei den Bitterstoffen auch. Die sind in unserer Nahrung heute sehr reduziert, aber für Leber und Galle besonders wichtig. Einfach gesagt: Die Artenvielfalt der Kräuter ist eine Bereicherung für uns Menschen. In kulinarischer, sinnlicher, gesundheitlicher und ökologischer Hinsicht. Letzteres auch, weil sich die Pflanzen gegenseitig bedingen und die Artenvielfalt den Boden erhält.
Der Frühling steht vor der Tür - wann startet die Wildkräutersaison?
Es gibt schon im Winter essbare Knospen mit wertvollen Enzymen und Mineralstoffen, etwa die Lindenknospen. In der Gemmotherapie (Anm.: Gemma = lat. Knospe) werden aus Knospen Essenzen für medizinische Zwecke gewonnen. Im Februar und März kommen dann Bärlauch, Brennnessel, Gänseblümchen, Spitzwegerich und die wohlriechenden Märzveilchen. Aus Letzteren kann man Sirup, Bowle oder Essig machen. Es folgen Taubnessel und Giersch. Gemeinsam mit Schafgarbenblättern, Vogelmiere, Sauerampfer und Löwenzahn kommen die dann in die erste Wildkräutersuppe des Jahres, die Neun-Kräutersuppe am Gründonnerstag.
Wir können also im Frühling auf die Wiese gehen und drauflos sammeln!
Suchen Sie immer auf ungedüngten Wiesen, nicht in der Nähe von konventionell bewirtschafteten Bauern und Äckern! Ideal ist es im Gebirge oder auf Almen. Aber auch in der Nähe von Großstädten zahlt es sich aus: In Wien zum Beispiel in Lainz oder in Steinhof. Dort ist man allerdings schon etwas happig, weil es seit einiger Zeit trendig ist, nach Wildkräutern zu suchen.
Worauf muss man beim Sammeln besonders achten?
Man sollte immer so sammeln, dass ein guter Bestand stehenbleibt. Weniger ist besser als mehr, damit der Fortbestand der Kräuter gesichert ist. Leider, muss man sagen, ist die Maßlosigkeit hier oft sehr groß.
„Wildkräuter immer so sammeln, dass ein Restbestand bleibt!“
Abgesehen vom Essen: Was kann man mit Wildkräutern noch alles machen?
Abgesehen von Gewürzen, Tees, Sirupen, Essigen oder Kräutersalzen kann man zum Beispiel Veilchen kandieren. Man kann auch Salben, Tinkturen, Ölansätze oder Naturkosmetik aus den Kräutern machen. Zum Verarbeiten trocknet man sie oder setzt sie in Alkohol oder Essig an. Hintergrund Karoline Grün gibt ihr Wissen über die heimische Artenvielfalt von Wildpflanzen und Heilkräutern auch auf www.shiatsuinwien.at weiter. Das Gespräch führte Daniela Illich. Jetzt weiterlesen: Wie geht es unseren Heilkräutern? PLUS: Die besten Heilpflanzen für die Haus-Apotheke sowie 10 tolle Kräuterwanderungen.