Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch! Ihr habt mit eurem Projekt den wein.landschaft-Award gewonnen und seid zugleich das jüngste Gewinner-Duo. Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Michael Binder: Ich habe damals ganz klassisch einen Aushang im Lagerhaus gemacht. Ich wollte Mitstreiterinnen oder Mitstreiter finden, um Weingärten biodiverser zu gestalten. Und Lisa hat sich gemeldet.
Lisa Flecher: Ich dachte sofort: „Warum eigentlich nicht?“ Ich hatte im Jahr davor bereits erste Versuche mit Unterstockbegrünung gemacht, war also schon auf dem Weg zu mehr biologischer Vielfalt. Der Zeitpunkt war einfach ideal – ich wollte mehr tun, mehr ausprobieren. Als ich den Zettel gesehen habe, war ich gleich begeistert. Beim ersten Telefonat haben wir dann sofort gemerkt: Wir ticken ähnlich. Gleiche Wellenlänge, gleiche Vision. Ich bin Winzerin, das Kremstal ist fast ausschließlich weinbaulich geprägt – da passte alles. Der Aushang hing übrigens nur ganz kurz. Es war wirklich ein Glücksfall – zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Michael Binder: Dass Lisas Betrieb so kleinteilig strukturiert ist, war eine ideale Grundlage. Sie ist selbst Junior-Chefin, sie beobachtet ihre Flächen seit Jahren – das ist Gold wert.
Was macht die Landschaft rund um Furth im südlichen Kremstal für euch besonders?
Michael Binder: Es ist eine faszinierende Übergangszone – zwischen dem kühlen Waldviertel und dem pannonischen Raum. Man erkennt auch Einflüsse aus der Wachau. Diese Mischung spiegelt sich in Flora und Fauna wider. Alte Aufzeichnungen zeigen, dass es früher mehr Wiesen gab – die haben in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Weingärten haben davon profitiert, aber auf Kosten der Artenvielfalt.
Lisa Flecher: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich heimkomme – über das Licht, den Duft, die Schönheit. Aber vieles hat sich verändert. Furth war früher ein Dorf mit Marillengärten und Wiesen – heute sind es Reihenhäuser. Die Einwohnerzahl hat sich verdoppelt. Der Siedlungsdruck ist enorm, alles wurde versiegelt. Man hätte es anders machen können, mit einem besseren Konzept – Wohnen und Natur vereint. Stattdessen wurde das Potenzial verspielt.
Meine Großmutter erzählt oft von ihrer Kindheit: Unter den Rebzeilen hatte ihre Mutter Kren, Zwiebel und Knoblauch angebaut. Alles auf einer Fläche, alles bunt und lebendig. In nur drei Generationen ging so viel verloren. Ich will in dieser Hinsicht drei Schritte zurück gehen – in die Zukunft.
Wo erlebt ihr heute am deutlichsten den Rückgang der Artenvielfalt?
Lisa Flecher: In den letzten 15 bis 20 Jahren hat sich einiges verändert – leider in die falsche Richtung. Früher war ich mit meinem Großvater im Weingarten, wir haben regelmäßig Schlangen gesehen. Heute sehe ich vielleicht ein- oder zweimal im Jahr eine. Auch die Smaragdeidechse ist seltener geworden – aber ich nehme inzwischen wieder mehr wahr, vielleicht, weil ich bewusster beobachte. Vor ein paar Tagen habe ich einen Wiedehopf gesehen. Das war früher selbstverständlich – heute ist das ein Ereignis.
Michael Binder: Die Zahlen sprechen für sich: In den letzten Jahren ist das Grünland um 25 Prozent geschrumpft, Obstanlagen sind sogar um 21 Prozent verschwunden – vielfach durch Versiegelung für Neubauten. Gleichzeitig verzeichnen Weingärten ein Plus von über 25 Prozent. Das ist ein Trend, der Hoffnung macht: Denn wenn Weinbauflächen ökologisch gestaltet werden, können sie einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten.
Ich nehme ein Umdenken bei vielen Winzerinnen und Winzern wahr – das hat sich auch beim #wein.landschaft-Aufruf von Blühendes Österreich deutlich gezeigt. Der Verlust der Artenvielfalt ist längst auch im Weinbau angekommen. Viele haben das schon erkannt und halten dagegen: Immer öfter werden Blühstreifen angelegt, halbtrockene Wiesen gepflegt.
Gab es Maßnahmen, die euch selbst überrascht haben, weil sie so schnell oder sichtbar etwas für die Artenvielfalt verändert haben?
Lisa Flecher: Allein durch das Anlegen von Lesesteinhaufen oder Trockensteinmauern sieht man nach zwei Jahren wieder regelmäßig bedrohte Smaragdeidechsen. Diese kleinen Strukturen – scheinbar unbedeutend – sind Superhabitate für eine ganze Familie: Eiablage, Überwinterung, Rückzugsraum. Sechs Eidechsen auf einem Quadratmeter – für sie ist das eine ganze Welt.
Michael Binder: Wir haben auch Osterluzei gepflanzt – für den extrem seltenen und spezialisierten Osterluzeifalter. Inzwischen wurde er in der Nähe gesichtet. Sein Habitat ist vorhanden, alles steht bereit für die Eiablage. Wenn unsere ausgesäten Blühpflanzen zwischen den Reben erblühen, entstehen Trittsteinbiotope auf Gemeinde- und Weingartenflächen, die sich zu einem lebendigen Netzwerk verbinden – aus einzelnen Fragmenten wächst so ein vielfältiges Mosaik.
Auch artenreiche Orchideenböschungen, die vielerorts verschwunden sind, könnten gerade im Kremstal mit einfachen Maßnahmen wieder zurückkehren. Bedrohte Tiere und Pflanzen erhalten so ihren Lebensraum zurück und können über Trittsteinbiotope wandern.
Ein großer Teil dieser Arbeit gelingt aber nur, weil Freiwillige mithelfen – beim Pflanzen, beim Anlegen von Strukturen oder bei Pflegemaßnahmen.
Lisa, was bedeutet dieser Weg hin zu mehr Biodiversität für deine tägliche Arbeit im Weingarten?
Lisa Flecher: Es ist definitiv mehr Aufwand. Ich steige gerade auch auf Bio um – da ändert sich sowieso vieles. Früher war unter den Reben alles kahl, fast wie englischer Rasen. Heute pflege ich in den meisten Weingärten artenreiche Unterstockbegrünung. Dieses Jahr ist diese erstmals etabliert genug, dass ich sie mit dem Zwischenstockmäher mit dem Traktor pflegen kann. Davor habe ich sie händisch gepflegt und mit der Motorsense gemäht.
Auch an den Teilen der Böschungen, an denen wir Strukturelemente und Gehölzinseln angelegt haben ist nichts mehr mit Maschinenpflege. Die freien Stellen können noch mit einem Böschungsmäher gemäht werden. Alles in Handarbeit. Aber der Nutzen rechtfertigt für mich den zusätzlichen Aufwand. ÖPUL-Fördergelder gibt es – aber nur nach Hektar. Steile Böschungen werden offiziell nicht als wertvolle Biotope angesehen. Die Pflege dieser Flächen müsste endlich abgegolten werden – als gesellschaftliche Leistung. Für uns ist die Unterstützung der BILLA Stiftung Blühendes Österreich ein Beispiel dafür, wie Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und konkrete Veränderungen finanziell ermöglichen.
Welche Rückmeldungen bekommst du von deinem Umfeld, seit du Weingärten bewusst artenreicher gestaltest?
Lisa Flecher: Mein größtes Learning: Ich muss erklären, warum Wildheit gut ist. Viele dachten zuerst, ich kümmere mich nicht um meine Flächen, wenn die Böschungen wuchern. Dabei steckt da mehr Arbeit drin als vorher! Heute lege ich beim Heurigen Infozettel auf und erkläre, was wir tun. Das hätte ich früher nicht für nötig gehalten.
Die Landschaft ist ja auch Erholungsraum. Manche reagieren kritisch, wenn es wild aussieht – andere, vor allem auch ältere Menschen, freuen sich über das Summen, Flattern und Blühen. Andere beschweren sich über Hühner und Schafe im Weingarten. Zwischen Idee und Praxis mit dem Kreislauf der Natur scheiden sich die Geister.
Wenn ihr fünf Jahre weiter denkt – wie sähe die ideale Weinlandschaft aus?
Lisa Flecher: Einige, die mich anfangs kritisiert haben, beginnen umzudenken. Ich würde mich freuen, wenn sie nicht nur umdenken, sondern auch handeln. Ich teile mein Wissen gerne. Selbst kleine Maßnahmen können eine riesige Wirkung haben. Agroforst in Kombination mit Wein – also Vitiforst – interessiert mich sehr und dem möchte ich mich gerne mehr widmen.
Unser Heurigenbetrieb besteht seit 1969. Bis 2000 hatten wir gemischte Landwirtschaft – alles, was wir ausschenkten, kam vom eigenen Hof. Das möchten wir wieder: Tiere, Pflanzen, Kreisläufe. Früher war das normal. Heute ist konventioneller Weinbau zwar maschinell leichter – aber langfristig fehlt der natürliche Rhythmus.
Michael Binder: Ich wünsche mir, dass sich noch mehr landwirtschaftliche Betriebe umorientieren. Dass strukturreiche Weingärten entstehen, mit blühenden Randbereichen, voller Leben.
Über Lisa Flecher
Lisa Flecher ist Jungwinzerin aus Furth bei Göttweig und führt den traditionsreichen Familienbetrieb in vierter Generation nachhaltig in die Zukunft. Nach internationalen Praktika und ihrer Ausbildung zur Weinbau- und Kellermeisterin setzt sie heute konsequent auf biologische Bewirtschaftung und Artenvielfalt im Weingarten. Für ihr Engagement wurde sie 2024 mit dem wein.landschaft-Award von „Blühendes Österreich“ ausgezeichnet. Gemeinsam mit dem Verein ORTOLANdschaftspflege gestaltet sie im südlichen Kremstal Biodiversitätsoasen zwischen den Reben.
Über Michael Binder
DI Michael Binder ist Naturschutzexperte und Mitgründer des Vereins ORTOLANdschaftspflege. Als leitendes Organ von LANIUS – Forschungsgemeinschaft für regionalen Naturschutz – verbindet er wissenschaftliches Fachwissen mit praxisnaher Landschaftspflege. Gemeinsam mit Lisa Flecher entwickelte er das Projekt „Biodiversitätsoasen zwischen Reben im südlichen Kremstal“, das beim wein.landschaft-Award 2024 prämiert wurde. Sein Ziel: Weingärten als artenreiche Kulturlandschaften erhalten und weiterentwickeln.