Wenn wir an Pilze denken, fallen uns zuerst ihre oberirdisch sichtbaren Fruchtkörper mit Hut und Stiel ein. Kaum ist uns bewusst, dass sich ein Großteil des Lebens von Pilzen im Boden verborgen abspielt. Tagein, tagaus verrichten Pilze ihre Arbeit zum Funktionieren der Ökosysteme. Pilze sind in ihrer Bauweise sehr einfach gestaltet. Mikroskopisch dünne Fäden (Pilzhyphen) durchziehen auf Nahrungssuche den Boden und vernetzen sich mit den Feinwurzeln von Pflanzen und Bäumen. Ihre meist nur für ein paar Tage an der Oberfläche sichtbaren Fruchtkörper dienen der Sporenproduktion und -ausbreitung.
Als Myzelium wird das in den oberen Bodenschichten befindliche Feingeflecht der Hyphen eines Pilzes bezeichnet. Unter Mykorrhiza verstehen wir den Zusammenschluss von Pilzmyzelium mit den Feinwurzeln der Bäume zu einer Lebensgemeinschaft, in dem ein Stoff- und Informationsaustausch zum Vorteil beider KooperationspartnerInnen erfolgt.
Es sind im Laufe der Evolution verschiedene Arten von Mykorrhizen entstanden und nicht alle Pilze sind Mykorrhizapilze. Neben der großen Gruppe der Mykorrhizapilze gibt es auch die saprobiontisch lebenden Pilze (siehe Beitrag Zunderschwamm) und die parasitisch lebenden Pilze.
Viele bekannte Speisepilze wie der Steinpilz, die Birken-Rotkappe und das Eierschwammerl, aber auch Giftpilze wie der Grüne Knollenblätterpilz und der Fliegenpilz zählen jedoch zu den Mykorrhizapilzen, die jeweils mit unterschiedlichen Baumarten zusammenleben.
Pilzmyzelien können eine beachtliche Ausdehnung erreichen und theoretisch unendlich lang leben, sofern ihr Lebensraum erhalten bleibt. Das Myzelium eines einzigen genetisch identen Hallimasch-Pilzes in Oregon in den USA ist sogar der größte Organismus der Welt. Es erstreckt sich über eine Fläche von neun Quadratkilometern, ist 400 Tonnen schwer und 8500 Jahre alt.
Die Dicke der die Feinwurzeln der Bäume umhüllenden Pilzhyphen beträgt in etwa nur ein Fünfzigstel der Dicke feinster Baumwurzeln, ihre Länge übertrifft die der Pflanzenwurzeln um das Hundertfache. Die weltweite Gesamtlänge der Pilzhyphen geht in astronomische Dimensionen. WissenschafterInnen haben errechnet, dass die Gesamtlänge aller Mykorrhiza-Hyphen eine unvorstellbare Zahl von 4,5x1017 Kilometer beträgt und damit dem halben Durchmesser unserer Galaxis entspricht.
Tauschhandel im Untergrund: Zucker für Wasser, Nähr- und Mineralstoffe
Durch das Andocken der Pilzhyphen an die Feinwurzeln der Bäume ist ein Austausch möglich, bei dem die Pilze den Bäumen Wasser und Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff sowie Mineralstoffe liefern und im Gegenzug dafür von den Bäumen Zucker erhalten, den sie selbst nicht produzieren können, da sie über kein Blattgrün verfügen und daher keine Photosynthese betreiben können.
Die Kooperation der Pilze mit den Bäumen geht sogar soweit, dass Pilze einen Teil des von den grünen Blättern der Bäume erhaltenen Zuckers wiederum an junge Bäumchen im Schatten der Baumkronen der alten Bäume abgeben. Da die jungen Bäumchen kaum Sonnenlicht erhalten wären sie ohne den über die Pilzhyphen gelieferten Zucker der Elternbäume nicht überlebensfähig. Die Pilze helfen somit in der Ernährung der „Baumkinder“ und sichern sich durch diese Form von Kooperation neue Mykorrhizapartner im Falle des Absterbens der alten Bäume.
Die Ausbildung von Mykorrhizen ist auch für Baumpflanzungen in sensiblen Hochgebirgsregionen von enormer Bedeutung. Nachdem diverse Aufforstungsversuche in den Gebirgsregionen des Himalaya gescheitert sind, ging man erfolgreich dazu über Baumsetzlinge vor dem Einpflanzen mit geeigneten Pilzmyzelien zu impfen – eine Praxis die nunmehr in sensiblen Bereichen weltweit angewandt wird.
Pilzmyzelien und gesunder Waldboden als Erosionsschutz und Kohlenstoffsenke
Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der Pilzmyzelien für den Erosions- und Klimaschutz. Die feinen den Boden durchziehenden Hyphen der Pilzmyzelien führen zu einem besseren Zusammenhalt der Bodenteilchen und vermindern die Gefahr von Bodenerosionen. Die Masse der Myzelien macht etwa ein Drittel bis zur Hälfte der Biomasse des gesamten Oberbodens des Waldes aus. Die Myzelien sind daher nicht nur für den Aufbau und Erhalt einer gesunden Humusschicht von Relevanz sondern auch eine bedeutende Kohlenstoffsenke und für den Klimaschutz wichtig.
Kahlschläge und schwere Forstmaschinen können Pilzmyzelien leider stark beschädigen und zerstören. Deshalb wäre aus ökologischer Sicht eine Plenterwaldbewirtschaftung vorzuziehen, bei der nur einzelne Bäume aus dem Wald entnommen werden. In Plenterwäldern bleiben die Pilzmyzelien auf Dauer erhalten während sie bei Kahlschlägen weitgehend zerstört werden.
Informationsübertragung: Das „Wood Wide Web“ im Waldboden
Durch zahlreiche Forschungsarbeiten und wissenschaftliche Experimente wurde nachgewiesen, dass die Pilzmyzelien noch viel weiter vernetzt sind als ursprünglich angenommen. Im Waldboden existiert eine Art „Wood Wide Web“, das auch weitere Organismen einbindet und über das verschiedenste Informationen auf biochemischer und elektromagnetischer Art und Weise auch über größere Entfernungen weitergeleitet werden. Durch die Produktion und Weiterleitung bestimmter Biochemikalien können so zum Beispiel Bäume vor Schädlingen vorgewarnt werden, die in einem bestimmten Bereich des Waldes auftreten. Sie werden durch den Erhalt dieser biochemischen Informationen wiederum veranlasst, bestimmte Stoffe zu produzieren, die der Abwehr der Schädlinge dienen.
Immer besser wird ersichtlich, welch ausgeklügeltes und intelligentes System die Natur mit den Pilzen geschaffen hat. So drängt sich am Ende unseres Beitrages die Frage auf, was wir als Menschheit im Zeitalter von Klimaerwärmung und Biodiversitätsverlust von den seit einigen Hundert Millionen Jahren erfolgreich existierenden Pilzen noch lernen könnten.
Hast du Interesse, weiter in diese fast schon philosophisch/erkenntnistheoretisch anmutende Fragestellung einzutauchen? Dann dürfen wir dir Merlin Sheldrakes 2020 erschienenes populärwissenschaftliches Buch „Verwobenes Leben - Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen“ als Sommerliteratur empfehlen.
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit von Irmgard Krisai-Greilhuber mit Christian Apschner.