Über 80 Prozent der natürlichen Lebensräume in Europa befinden sich in einem kritischen Zustand. Darunter fallen verschiedene Ökosysteme wie Wälder, Grünland, Feuchtgebiete wie Moore sowie Flüsse und Seen. Das Überleben zahlloser Tier- und Pflanzenarten steht auf dem Spiel – ebenso wie unsere Ernährungssicherheit.

Das Renaturierungsgesetz hat das Ziel, europaweit Flüsse, Wälder, Wiesen und Felder wiederzubeleben. Es ist die Antwort auf jahrzehntelange Zerstörung, die Biodiversitätskrise mit ihrem dramatischen Artensterben und die Klimakrise, denn nur eine gesunde Natur kann die Auswirkungen des Klimawandels abfedern.

In Österreich ist die Länder-Blockade des EU-Renaturierungsgesetzes zum Politikum geworden. Gerüchte und Falschmeldungen kursieren durch die Medien. Einer, der über die große Chance für Europa aufklärt und sich engagiert, ist Wolfgang Suske. Er hat die Petition zum Renaturierungsgesetz ins Leben gerufen, um unser Naturerbe zu retten. Im Interview spricht er über seine Beweggründe und die einmalige Chance, die Zerstörung an unserer Natur europaweit wieder gut zu machen.

Lieber Herr Suske, was hat Sie dazu bewogen, die Petition für das EU-Renaturierungsgesetz zu initiieren?

Ich habe mich als österreichischer Staatsbürger für mein Land geschämt. Obwohl Österreich im Naturschutz gut aufgestellt ist, blockieren wir ein modernes und innovatives europäisches Gesetz zur Wiederherstellung wertvoller Lebensräume. Da hat es in mir innerlich gekocht und ich habe mich dazu entschlossen, eine Petition zu starten. Am 5. Mai habe ich den Entschluss gefasst und die Petition am 8. Mai 2024 gestartet.

Zu teuer, zu viel Bürokratie, die Lebensmittelversorgung ist in Gefahr … Gerüchte kursieren um das Renaturierungsgesetz. Wie können Sie diese Bedenken entkräften?

Unser Hauptziel ist es, die Gerüchte über das Renaturierungsgesetz aus der Welt zu räumen. Das ist uns bis jetzt auch schon gut gelungen. Zum Gerücht, dass das Nature Restoration Law zu teuer sei: Teuer sind die Folgen von kaputten Naturräumen. Es gibt von der Europäischen Kommission eine Berechnung, die den wirtschaftlichen Schaden ermittelt hat, der entsteht, wenn wir die Natur NICHT wiederherstellen. Dieser Schaden ist mindestens achtmal so teuer wie die Renaturierungsmaßnahmen selbst. 

Österreich wird EU-Fördermittel erhalten, um die Natur als Puffer gegen Naturkatastrophen wiederherzustellen. Es geht darum, Moore wiederzubewässern und Feuchtflächen wiederherzustellen, Grünräume in den Städten zu erhalten und zu schaffen, die Durchgängigkeit der Flüsse wiederherzustellen oder Wiesen- und Ackerbereiche zu extensivieren, um mehr Lebensräume für Insekten zu schaffen.  Diese Ziele werden mit freiwilligen Maßnahmen der Landwirt:innen erreicht, die auch Unterstützung für ihre aktive Mitwirkung an der Wiederherstellung wertvoller Lebensräume erhalten. Aber alle diese Maßnahmen kommen den Landwirt:innen auch selbst zugute, da damit ihre eigene Ressource – gesunde Böden und intakte Landschaft – erhalten bleibt oder sogar verbessert wird. 

Während die Wiederherstellungsmaßnahmen von der EU unterstützt werden, bleibt Österreich bei den Aufwendungen für die Schadensbehebung durch zerstörte Naturflächen, die sich in Hochwasser, Erosion, Trockenheit und Dürre zeigen, in der Regel alleine sitzen. Mittlerweile verursachen Dürren in der Landwirtschaft mehr Schäden als alle anderen Naturkatastrophen zusammen. Allein 2023 verursachten sie 170 Millionen Euro Schäden.

Die EU deckt einen Großteil der Kosten für die Renaturierungsmaßnahmen ab, auf den Schäden durch zerstörte Naturflächen wie Hochwasser, Trockenheit oder Dürre bleibt Österreich jedoch alleine sitzen.

Zum Gerücht der ausufernden Bürokratie möchte ich sagen, dass ich keine überbordende oder unnötige Bürokratie durch das Renaturierungsgesetz erkenne. Klar, die Ziele und Maßnahmen, die mit dem Gesetz verfolgt werden, müssen von den EU-Staaten dokumentiert werden. Aber diese Dokumentationsarbeit ist sehr wichtig. Sie ist ein Zeichen für Transparenz und Fairness, aber auch ein Grundstock für wichtige fachliche Kommunikation, damit man sich zwischen den Ländern austauschen und voneinander lernen kann. Es wird behauptet, die Bürokratie betreffe die Bauern und Bäuerinnen, sie müssen irgendwelche Listen schreiben. Das ist Unsinn und steht in keiner Zeile des Gesetzes. 

Zum Gerücht über die Lebensmittelversorgung: Viele Bauern und Bäuerinnen unterstützen die Petition. Bauern und Bäuerinnen arbeiten tagtäglich in der Natur. Sie wissen und sie spüren jeden Tag, dass sie von der Ressource Natur abhängen. Wenn diese kaputt geht, dann gibt es keine Ernte und somit auch kein Einkommen Wasserknappheit ist zum Beispiel immer öfter ein Thema. In vielen Regionen, in denen Felder vor Jahrzehnten durch Drainagen sehr effektiv entwässert wurden, bittet man heute, etwas zu tun, damit man das Wasser für die Felder zurückbekommt. 

Von manchen Ländern wird der Flächenverbrauch thematisiert, der durch die Wiederherstellung von wichtigen Lebensräumen entsteht und der Produktion weggenommen wird. Erstens dienen die wiederhergestellten Flächen der nachhaltigen Produktion. Aber zweitens ist den Politiker:innen, die solche Dinge behaupten, offenbar nicht bewusst, wo die wirklichen Probleme liegen, die von ihnen gelöst werden müssen. Jährlich werden z.B. 240.000 Hektar fruchtbarer Boden von Starkregen oder Wind abgetragen. Im Weinviertel, der Steiermark oder dem Mühlviertel kennen viele diese tragischen Erosionsereignisse hautnah und erleben sie vor ihre Haustüre mit. Jedes Mal nach so einem Starkregen müssen die Gemeindebagger ausrücken, um fruchtbare Erde von den Straßen und Wegen zu räumen und – weil sie natürlich ein unbestimmtes Ausmaß an Pestiziden enthalten – zum Sondermüll bringen. Diese Einsätze kosten dem Steuerzahler viel Geld. Das, was an erodierter Erde nicht auf den Straßen landet, gelangt in die Flüsse. Unglaubliche Mengen an fruchtbarster Erde wird Jahr für Jahr in der Donau abtransportiert. Wenn man das alles weiß, dann wird man ungeduldig, wenn Politiker:innen darüber reden, dass uns die Wiederherstellung der Natur Flächen wegnimmt, die wir für die Produktion brauchen. 

Die Insektenpopulationen gehen auch zurück, das ist ein sehr ernstes Problem.  Den erodierten Boden sehen wir wenigstens, aber der Schwund bei den Insekten ist für den Laien viel schwieriger erkennbar. Wenn Populationen zusammenschrumpfen oder Arten sogar ganz verschwinden, dann bekommen wir ernste Probleme mit der Bestäubungssituation unserer Kulturpflanzen. Und dann haben wir nicht nur ein Problem mit der Versorgung regionaler Lebensmittel, so wie Frau Mikl Leitner das immer im Zusammenhang mit der Renaturierung erwähnt, sondern dann haben wir ein weltweites Problem mit Hungersnot.

Renaturierung heißt Ernährungssicherheit!

Ein Bauer aus Vorarlberg berichtet uns, dass im massiven Trockenjahr 2019 gerade seine extensiven Wiesen keine Einbußen im Deckungsbeitrag hatten. Denn der Boden kann, wenn er nachhaltig und ökologisch bewirtschaftet wird, sehr effizient Wasser speichern. Die anderen, intensiv genutzten Wiesen der Region sind jedoch regelrecht vertrocknet. 

Ein anderes Beispiel ist ein Bauer aus dem Weinviertel, der sich entschieden hat, Ackerflächen dauerhaft zu begrünen. Auf diesen begrünten Flächen, die nie umgebrochen werden, wachsen Weizen oder sogar Kartoffeln, der begrünte Anteil ist enorm attraktiv für Insekten und bereichert das Bodenleben. Die Felder sehen manchmal wild aus, aber der Bauer hat in manchen Jahren einen 20 % höheren Ertrag als seine Nachbarn. Solche Landwirt:innen schauen in die Zukunft. Diese Innovation und Kreativität braucht es, um weiterzukommen!

Wie haben die unterschiedlichen Bundesländer in Österreich bisher auf die Petition reagiert?

Wir stehen direkt und indirekt mit etlichen Vertreter:innen der Bundesländer in Kontakt.  Wir erhalten wertvolle Zeilen und Dankbarkeit, aber auch immer wieder wiederholende Argumente für die Ablehnung des Gesetzes. Die Petition selbst hat bereits über 22.000 Stimmen gesammelt, sodass das Parlament nun Stellung beziehen muss. Aus vielen Clubs sind diese bereits eingelangt. Bis auf ÖVP und FPÖ sind alle Stellungnahmen sehr positiv.

Die fehlende Zustimmung Österreichs blockiert den Gesetzesbeschluss für ganz Europa. Welche Chance entgeht Europa, wenn das Renaturierungsgesetz nicht realisiert wird?

Ich persönlich glaube, das Gesetz wird kommen – möglicherweise nicht in der aktuellen Form und vielleicht auch nicht in dem Tempo, das wir uns wünschen, aber es wird kommen. Falls es am 17.6. nicht auf der Tagesordnung des EU-Rats steht, wird es auf die nächste Sitzung  vertagt. Sollte das Gesetz nicht kommen, wird es ein Desaster. Jeder, der sich auskennt, weiß, dass wir die Natur in vielen Bereichen reparieren müssen. Zu denken, dass der aktuelle Zustand ausreicht, ist zu kurz gedacht. 

Zwei Drittel der Bevölkerung sind für das Gesetz. Laut einer Umfrage der Kronen Zeitung unterstützen 84 % der Menschen in Österreich das Renaturierungsgesetz, EU-weit sind es gemäß Umfragen 77 Prozent. So viele Leute muss man also gar nicht mehr überzeugen. Unsere Lebensressource braucht Schutz. Das wissen die Menschen.

Wir sind ein europäischer Wirtschaftsraum, und um faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, ist es wichtig, dass auch unsere Nachbarn in Ungarn und Tschechien die gleichen Kriterien befolgen. Wenn Biodiversität ein Wert ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann das Gesetz kommt. Auch im Unterstützungskomitee bereiten wir bereits vor, welche Schritte danach folgen sollen.

Welche Initiativen setzen sich mit Ihnen für das Renaturierungsgesetz ein?

Wir sind ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und hatten bisher keine Zeit, Institutionen einzubeziehen. Als Privatpersonen war es einfacher und schneller, die Petition zu realisieren. In der zweiten Phase, die wir im Sommer planen, wollen wir die Initiative institutionell aufbauen. Dabei möchten wir Bauern-, Wirtschafts- und Künstlervereine einbinden, um die Plattform gut und breit aufzustellen.

Inwiefern könnte das EU-Renaturierungsgesetz die Lebensqualität und die Umwelt in Österreich konkret verbessern?

Beim Renaturierungsgesetz spielen auch Städte eine wichtige Rolle. Sie müssen mehr Grünflächen bereitstellen und die, die sie bereits haben, erhalten. Das  ist ein wesentlicher Beitrag gegen die Folgen der Klimakrise und dem Artensterben. In Österreich haben wir das Glück, viel Grün in urbanen Räumen zu genießen, Wien ist hier sicher eine Vorzeigestadt. In anderen europäischen Städten ist das bei weitem nicht so. 

Ein weiterer Bereich, in dem eine intakte Natur zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist Erholung und Freizeit. Naturparks haben seit der Pandemie einen starken Zulauf erfahren. Die Menschen suchen Ruhe und Entspannung, und eine gesunde, intakte Natur spielt in der Zukunft eine immer größere Rolle. Neben der körperlichen Erholung bietet die Natur auch mentale und emotionale Vorteile, die für das allgemeine Wohlbefinden unerlässlich sind. Diese steigende Nachfrage nach naturnahen Erholungsgebieten unterstreicht die Notwendigkeit, unsere natürlichen Lebensräume zu schützen und wiederherzustellen.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das Gesetz beim nächsten EU-Umweltrat am 17. Juni auf die Agenda gesetzt wird und eine Mehrheit findet?

Ich glaube schon, dass die letzten Wochen in Sachen Aufklärung und Wichtigkeit des Renaturierungsgesetzes in Österreich unglaublich viel bewirkt haben. Diejenigen, die die Gerüchte gestreut haben, sind aufgrund der vernichtenden Faktenlage überfordert und leiser geworden.

Ob es ausreicht und ob die Ministerin eine positive Stimme für das Gesetz gibt oder sich enthalten muss, ist heute noch unsicher. Ob die Slowakei zustimmt, ist auch noch nicht sicher, und Polen ist ebenfalls ungewiss. Es sickert jedoch durch, dass nach der EU-Wahl eine Wende kommen könnte. Auch Italien könnte schon aufgrund der Bevölkerungszahl entscheidend sein. Wir wissen am 12. Juni, ob es auf die Tagesordnung des EU-Umweltministerrats kommt oder nicht. Wenn nicht, wird weitergearbeitet, bis zum nächsten entscheidenden Termin.

Was würden Sie den Bürger:innen sagen, um sie von der Bedeutung des Gesetzes zu überzeugen?

Es geht schlicht und einfach darum, die Schäden der letzten 40 Jahre so gut wie möglich wieder gutzumachen und zu reparieren. Dazu gehören Maßnahmen wie die Rückführung von Flussläufen und die Aufhebung der Entwässerungen aus den 70er Jahren, um Feuchtgebiete und Nassräume wiederherzustellen. Eine einfache Maßnahme zur Wiederherstellung ist das Stehen- oder Liegenlassen von Totholz in den Wäldern, da Totholz ein wichtiger Lebensraum für unzählige Tierarten ist. Oder die Wiederherstellung von blühendes Lebensräumen für Tagfalter. Diese Maßnahmen sind unkompliziert und dennoch äußerst wirkungsvoll.

Die großen Probleme unserer Zeit haben wir mit Gesetzen in den Griff bekommen!

Für große und komplexe Probleme, die wir in Europa haben, braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen, sonst kommen wir nicht weiter. Das Ozonloch war vor drei Jahrzehnten ein riesiges Thema. Dann wurde ein europaweiter gesetzlicher Rahmen geschaffen, der Schutzbestimmungen vorgeschrieben hat. Heute ist das Ozonloch kein Thema mehr. Vor 40 Jahren waren die Seen in Kärnten aufgrund der Phosphate der Abwässer voller Rotalgen, es gab im Sommer immer wieder Badeverbote. Auch hier brauchte es gesetzliche Rahmenbedingungen, damit sich etwas ändert. Heute ist das kein Thema mehr. Und so war es in den 70er Jahren auch mit dem Waldsterben. 


Was kann man persönlich tun, um das Renaturierungsgesetz weiter zu unterstützen?

Aktiv werden! Den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin anschreiben, alle Einflussnehmer wie Vereine und Verbände kontaktieren, Leserbriefe an Zeitungen verfassen, die Petition teilen und sich selbst engagieren. Die Medien nehmen regionales Engagement gerne auf, wie das Beispiel der Zeitung Kurier zeigt, die ausführlich über einen Bauern zum Thema Renaturierung berichtet hat. Wer sich offen zeigt, Stellung bezieht, etwas mutig ist und auf die Dringlichkeit des Nature Restoration Laws hinweist, hat gute Chancen, medial Gehör zu finden.

 

 

 

Hier geht es zur Petition: www.renaturierungsgesetz.at

Wolfgang Suske, Experte für Naturschutz und Lehrbeauftragter an der BOKU Wien, ist spezialisiert auf NATURA 2000, Artenschutz, ländliche Entwicklung und öffentliches Bewusstsein. 

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Wolfgang Suske

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